The Celluloid Closet

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THE CELLULOID CLOSET ist die Geschichte der Lesben- und Schwulendarstellung im Film, eine Studie über Hollywoods Einfluß auf unser Verständnis von Männlichkeit und Weiblichkeit, aber auch ein wirkliches Fest für alle Filmliebhaber. Die Zeitspanne erstreckt sich von der Geburtsstunde des Films bis zur Gegenwart und untersucht, wie Filmemacher und Schauspieler Lesben und Schwule auf der Leinwand darstellen. Der Film ist ein kaleidoskopähnliches Porträt, das mit einem frühen Edison- Ausschnitt zweier tanzender Männer beginnt und uns bis zu PHILADELPHIA und dem New Queer Cinema führt. Beachtlich an diesem Film ist die Zusammenstellung der von Epstein und Friedman engagierten Schriftsteller, Produzenten, Regisseure und Schauspieler, u.a. Tom Hanks, Shirley MacLaine, Susan Sarandon, Gore Vidal, Armistead Maupin und Arthur Laurents. Jeder einzelne spricht ganz offen von seinen Erfahrungen, von Vidais urkomischer Erzählung über die BEN-HUR-Produktion von 1959 bis hin zu ernsthaften Diskussionen über die Einschränkungen durch die großen Hollywoodzare. Der Film ist faszinierend und lädt zum Nachdenken ein, und sollte von Filmliebhabern aller Provenienz unbedingt angesehen werden.
Tim Highsted, im: Katalog des Internationalen Filmfestivals, London 1996
Über den Film
Mit Oskar-preisgekrönten Filmen wie THE TIMES OF HARVEY MILK und GEMEINSAME FÄDEN: GESCHICHTEN VOM QUILT ist es den Dokumentarfilmern Rob Epstein und Jeffrey Friedman gelungen, einem breiteren Publikum Zugang zum Thema Homosexualität zu verschaffen. Mit ihrer Untersuchung von Darstellungen der Homosexualität in amerikanischen Spielfilmen bieten sie uns ausgesprochen amüsante, sich überschlagende Überlegungen zur Wahrnehmung von Lesben und Schwulen auf der Leinwand, die vom Humorvollen bis zum Schrecklichen und zum Herzerwärmenden reichen. Es ist durchaus denkbar, daß die mit Zartgefühl ausgesuchten und mit höchster Präzision zusammengestellten Ausschnitte und die informativen, oftmals prägnant geistreichen Interviews den Film über den spezialisierten Zuschauermarkt hinaus für die wesentlich größere Sphäre der kommerziellen Abspielmöglichkeiten interessant machen. Das schwule und lesbische Publikum, das vielleicht eine wütende Tirade gegen die Stereotypen der Hollywoodindustrie erwartet, wird enttäuscht sein, denn der Film fordert eine solche Provokation nicht heraus. Epstein und Friedman sind vielmehr daran interessiert, das Thema mit einem gewissen Objektivitätsanspruch chronikartig zu erfassen, anstatt die Ungerechtigkeiten lauthals anzuprangern. Es ist zu erwarten, daß der Film von dieser Vorgehensweise profitieren wird und durch das Abspielen in großen und kleineren Kinos ein internationales Profil erhält. Der Film beruht auf Vito Russos Buch, das 1981 herauskam - eine Analyse der Darstellung von Homosexualität seit Anbeginn der Filmindustrie und eine Untersuchung, die prüft, ob die Darstellung mit den gesellschaftlichen Normen übereinstimmt oder sie sogar direkt widerspiegelt. Der Dokumentarfilm hält das Zuschauerinteresse durch wunderbare Ausschnitte erinnernswerter Schwulen- und Lesbenszenen im Bann, und zwar Szenen, die explizit homosexuell gemeint waren und andere, die man so interpretieren kann.
Die Erzählerin Lily Tomlin weist in ihrer Einführung darauf hin, daß die Homosexualität in hundert Jahren Kino nur selten wirklich anerkannt wurde. Meistens sei sie dazu benutzt worden, Lacheffekte zu erzielen, oder Angst oder Mitleid hervorzurufen und Heterosexuelle in ihrer Meinung über Homosexuelle zu beein-flußen und letzteren ein bestimmtes Bild von sich selbst zu suggerieren.
Die erste hier untersuchte Stereotype eines Homosexuellen ist die des femininen Weichlings. Affektierte Gecken, die meist als Fehler der Natur dargestellt wurden, erschienen schon in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts, was zeigt, daß gewisse Stereotypen von Anbeginn des Kinos auf der amerikanischen Leinwand zu sehen waren.
In einem Interview weist Quentin Crisp darauf hin, daß feminine Darsteller oftmals mit dem Transvestismus kokettierten, was ausnahmlos eingesetzt wurde, um Lacheffekte zu erzielen. Frauen in Männer(ver)kleidung waren dagegen etwas ganz anderes. Weit oben auf der Liste lesbischer Ikonen steht Marlene Dietrich, die im Smoking in MOROCO spielte und Greta Garbo als schwedische Junggesellinnenmonarchin KÖNIGIN CHRISTINE. Während der Moralkampagne der zwanziger Jahre bemühten sich die Zensoren, sämtliche eindeutig homosexuellen Elemente aus Filmen zu verbannen, und trotzdem blieben oft Spuren zurück. Die Aufteilung in Kategorien von akzeptablen, moralisch nicht einwandfreien bis zu untauglichen Filmen durch den Hays Code bedeutete, daß die Mehrzahl der homosexuellen Themen verworfen, oder die Geschichten völlig umgeschrieben wurden. Im folgenden mußten Homosexuelle auf der Leinwand als Bösewichter fungieren.
In den fünfziger Jahren tauchten dann die zähen Lesben hinter Gittern auf, oder die schlanken, eleganten Damen der Schickeria wie Lauren Bacall in YOUNG MAN WITH A HORNDrehbuchautor Jay Presson Allen sieht diese Filme als Aufforderung für die Damenwelt gedacht, ihren Platz in der Küche gefälligst wieder einzunehmen. Männliche Homosexuelle versanken dagegen im Unglück oder waren dem Untergang geweiht, so wie Tom Lee in TEA AND SYMPATHY - ANDERS ALS DIE ANDEREN und Sal Mineo in DENN SIE WISSEN NICHT, WAS SIE TUN. Männerfreundschaften werden in Filmen wie SPARTACUS genau unter die Lupe genommen. Mit ironischem Unterton kommentiert Tony Curtis, wie seine Szene mit Laurence Olivier im Jacuzzi gestrichen wurde.
Humor ist integraler Bestandteil des gesamten Films und bietet eine Art Kontrastprogramm zur Darstellung der Stigmatisierung durch Hollywood. In THE CHILDREN'S HOUR, ADVISE AND CONSENT und anderen Filmen wird dies genau untersucht, und zweifellos hat diese Art von Kino vielen homosexuellen Zuschauern das Leben sehr schwer gemacht und sie daran gehindert, ihre eigene Sexualität bereitwillig zu akzeptieren.
Der Film nimmt sich eine Dekade nach der anderen vor und zeigt, wie Lesben und Schwule mit der Zeit sichtbarer und wie Stereotypen aufgelöst werden und sich eine realistischere Darstellungsweise durchsetzt. Fast so anregend wie Friedmans und Glassmans nahtlos zusammengeschnittene Szenen sind die Interviews, in denen Vidal, Harvey Fierstein, Tom Hanks, Susan Sarandon und der Romanschriftsteller Armistead Maupin zu Worte kommen; letzterer zeichnete verantwortlich für die Filmerzählung.
Das Schlüsselargument, das sich in Bezug auf die Darstellung von Lesben und Schwulen auf der Leinwand abzeichnet, ist folgendes: wirklichen Fortschritt wird es für sie erst geben, wenn die Protagonisten um ihrer selbst willen akzeptiert werden, und nicht deshalb, weil das projizierte Bild strukturell der Erfahrung heterosexueller Beziehungen gleicht, womit sie dann keine Bedrohung mehr darstellen. Zuschauer können konstatieren, daß in neueren Filmen die Dialoge noch immer mit Beleidigungen gegen Homosexuelle gespickt sind, wohingegen ähnliche Äußerungen gegen Schwarze und gegen andere Religionen heute kaum noch durchgehen würden.
David Rooney, in: Variety, New York, 11.-17. September, 1995
(...) Es ist interessant, wie der Dokumentarfilm auf mehreren Denen gleichzeitig arbeitet. Es gibt keinen Zweifel darüber, aus welcher Ecke Epstein und Friedman kommen (ganz abgesehen von den verschiedenen liberalen Hollywood-Größen, die in zahlreichen Interviews zu Wort kommen). Für sie geht es im Film um die Unterdrückung, Verfolgung und das Totschweigen schwuler und lesbischer Sexualität. Das Thema könnte nicht einfacher sein: Schwule und Lesben sind die Guten, Homophobe sind Bösewichter. Wenn das alles wäre, könnte man den Film als komplett langweilig und plump abstempeln. Allerdings werden in THE CELLULOID CLOSET wesentlich interessantere und originellere Geschichten erzählt. Weil man die schwule und lesbische Sexualität in den frühen Jahren des Jahrhunderts totschwieg und sie in der Kinoindustrie natürlich trotzdem vorhanden war, bedeutete dies, daß Homosexuelle nicht völlig aus dem Blickfeld verschwunden waren. Stattdessen sahen sie sich gezwungen, wie im realen Leben ein geheimes, subversives Dasein auf der Leinwand zu führen, das sich nur unterschwellig ausdrücken konnte. Das erklärt den Grund für die Begeisterung des Publikums während der von mir besuchten Aufführung des Films: die historischen Filmausschnitte funktionieren auf zwei Ebenen. Das brave, bürgerliche Amerika der dreißiger, herziger und fünfziger Jahre sah auf der Leinwand nur das, was es sehen wollte, wobei die homosexuellen Drehbuchautoren und Schauspieler dick auftrugen und sich dabei köstlich amüsierten. Mit Hilfe von Lily Tomlins Erklärungen kann das heutige Publikum alle Insider-Witze verstehen. Der größte Witz ist die Erzählung von Gore Vidal, der das Buch für Ben Hur verfaßt hatte. Ihm war das Drehbuch anscheinend zu langweilig, und gemeinsam mit dem Schauspieler, der die Gegenrolle zum legendären Homophoben Charlton Heston spielte, beschloß er, der Geschichte ein bißchen Würze zu verleihen und eine private, kleine Nebenhandlung einzuführen: die beiden Wagenlenker hatten früher einmal eine homosexuelle Affäre. Nur teilten sie Heston nichts von dieser spontanen kleinen Änderung mit. Allein schon die nachfolgenden Ausschnitte, in denen Heston unbeirrt den Hetero spielt, währenddessen sein Gegenspieler Chuck schmachtend in die Augen blickt, sind den Eintrittspreis wert.
Don Collie, in: The Campus Times, 11. Oktober 1995
Rob Epstein und Jeffrey Friedman über Vito Russo
THE CELLULOID CLOSET basiert auf dem Buch unseres verstorbenen Freundes Vito Russo. Vito liebte das Kino. Außerdem war er als schwuler Aktivist ein Pionier der ersten Stunde. In seiner Studie über Homosexualität im Kino konnte er beide Anliegen miteinander verbinden. Vito hat uns gezeigt, daß wir über die Einstellung der Gesellschaft zur Homosexualität viel lernen können, wenn wir die populärste Kunstform des zwanzigsten Jahrhunderts auf die Repräsentation von homosexuellen Protagonisten hin untersuchen. Das gleiche gilt auch für die Definition eines akzeptablen 'männlichen' und 'weiblichen' Verhaltens. Als Filmemacher, als Schwule, als Filmliebhaber waren wir begeistert von der Möglichkeit, die Bilder eines Jahrhunderts herauszusuchen und sie neu zu präsentieren. Dabei überraschten uns die Bilder ständig, und während der Interviews faszinierten uns die Geschichten über die Entstehung der Bilder. Im hundertsten Jahr des Kinos, in dem mehr und mehr lesbische und schwule Protagonisten auf der Leinwand auftauchen, schien es uns sinnvoll, innezuhalten und uns Gedanken darüber zu machen, wie wir an diesem Punkt angelangt sind.
Gene Siskel und Roger Ebert von 'Siskel&Ebert' besprachen THE CELLULOID CLOSET während ihrer Sendung am 14. Oktober 1995
Roger: THE CELLULOID CLOSET ist kein wütender oder besonders politischer Film. Vielmehr ist er die Reise eines Filmliebhabers in die Vergangenheit eines Aspekts der Filmgeschichte, der bisher unsichtbar war oder vernachlässigt wurde.
Gene: Ich glaube, der Film ist besser als Du denkst. Es ist ein wichtiger Film, und ich glaube, da ist doch einiger Zorn enthalten, vor allem im letzten Teil. Da geht es um die Darstellung von Schwulen von den siebziger Jahren bis jetzt, und zwar werden sie hier tatsächlich als Schwule identifiziert. Es sind eigentlich ganz und gar haßerfüllte Darstellungen. Erst in den letzten Jahren sehen wir manchmal ein Bild von Schwulen, das human erscheint. Der Film ist auch aus einem anderen Grund wichtig, denke ich: er beweist, daß man Ausschnitte aus Filmen nehmen und ein Stück kultureller Geschichte konstruieren kann, das total faszinierend ist. Man kann jetzt..., ich glaube andere Gruppierungen können sich das anschauen und sagen, 'Auch wir können jetzt mit dem Medium Film unsere Geschichte erzählen, mit Filmausschnitten.' Das ist großartig.

Details

  • Länge

    102 min
  • Land

    USA
  • Vorführungsjahr

    1996
  • Herstellungsjahr

    1995
  • Regie

    Rob (Robert) Epstein, Jeffrey Friedman
  • Mitwirkende

    Lily Tomlin, Tom Hanks, Shirley MacLaine, Susan Sarandon, Whoopi Goldberg, Tony Curtis, Gore Vidal, John Schlesinger, Harvey Fierstein
  • Produktionsfirma

    Telling Pictures Production
  • Berlinale Sektion

    Forum
  • Berlinale Kategorie

    Dokumentarfilm
  • Teddy Award Gewinner

    Best Documentary/ Essay Film

Biografie Rob (Robert) Epstein

Rob Epstein wurde am 6. April 1955 in New Brunswick, New Jersey, geboren. Der Dokumentarfilmer wurde bekannt mit dem Film The Times of Harvey Milk, der einen entscheidenden Wendepunkt im politischen Kampf Homosexueller markierte. Nach seiner Mitwirkung an Word is Out realisierte er als Regisseur und Produzent zahlreiche Dokumentarfilme für das Fernsehen. Epstein war Dozent an der Tisch School of the Arts an der New York University und ist inzwischen ordentlicher Professor am Media Arts Department des California College of the Arts. 

Filmografie Rob (Robert) Epstein

1986 The AIDS Show | 2002 Crime & Punishment (TV-Serie) | 2006 Ten Days that unexpectedly Changed America: Gold Rush (TV-Dokumentation) | 2013 Linda Lovelace - Pornostar | 2014 The Oscars (TV Movie Dokumentation) | 2018 Endspiel (Kurzdokumentation) | 2019 State of Pride (Dokumentation) | 2019 Linda Ronstadt: The Sound of My Voice (Dokumentation)

Biografie Jeffrey Friedman

Jeffrey Friedman: Geboren 1951 in Los Angeles. Seit 1972 Schnittassistent bei Dokumentar- und Spielfilmen, u.a. 1979 bei Martin Scorseses RAGING BULL. Seit Ende der 80er Jahre Zusam - menarbeit mit Robert Epstein. 

Filmografie Jeffrey Friedman

2011 Entry Denied (Kurzdokumentation) | 2013 The Battle of Amfar (Kurzdokumentation) | 2014 Die Oscars (TV Movie Dokumentation) | 2016 Killing the Colorado (TV Movie Dokumentation) | 2018 Endspiel (Kurzdokumentation) | 2019 State of Pride (Dokumentation) | 2019 Linda Ronstadt: The Sound of My Voice (Dokumentation)