Eine flexible Frau

Greta, 40, Architektin, Mutter eines zwölfjährigen Sohns, getrennt lebend, verliert ihren Job. Sie beginnt in einem Callcenter zu arbeiten, wird aber schon bald wieder gekündigt. Sie versucht mit aller Kraft, sich nicht unterkriegen zu lassen, fängt an zu trinken und treibt durch die Stadt – zwischen Anpassungsdruck und Widerspruchsgeist.
A Woman Under the Influence – in Berlin zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Im sogenannten neuen Berlin, von den Brachen hin zu den Townhäusern. Im globalisierten, flexiblen Kapitalismus. Im Postfeminismus. Mit dem jeweils dazugehörigen Vokabular: Theorie-Bruchstücke, Floskeln, Modeworte, Zitate. Eine Frau mit einer Vision, vom urbanen Raum, von sich, von ihrem Beruf, von ihrem Leben mit ihrem Kind. Doch die Verhältnisse sind nicht so. Greta auf Partys, im Callcenter, beim Bewerbungs-Coach, mit ihrem Sohn, mit Exkollegen, im Jobcenter, in Kneipen, bei Stadtspaziergängen. Kämpferisch, hysterisch, eigensinnig, wie in Trance, widerspenstig, hemmungslos, überschwänglich und todtraurig. Situationen, Begegnungen, Performances. Mehr Trip als Plot. Momentaufnahmen einer zeitgenössischen, brüchigen weiblichen (Arbeits-)Biografie. Eine flexible Frau als allseitig reduzierte Persönlichkeit.
Birgit Kohler
 
Die Stadt der Frauen
Die erste Inspiration für meinen Film war Richard Sennetts Buch "Der flexible Mensch". Sennett beschreibt die harten Veränderungsanforderungen des postmodernen Kapitalismus an das Individuum. Diese Grundtatsache aktueller gesellschaftlicher Entwicklung wollte ich mit der speziellen
Situation von Frauen verknüpfen und die Frage aufwerfen, inwieweit das propagierte Bild der „modernen emanzipierten Frau“ nichts weiter ist als eine Affirmation des derzeitigen Status quo, eine „konservative Emanzipation“.
Den eher affirmativen Frauenfiguren – der Stadt der Frauen – steht meine Heldin gegenüber. Sie ist eine Kritikerin und Zweiflerin, die vergeblich versucht, sich den Verhältnissen anzupassen, ohne dabei ihre Autonomie und Würde zu verlieren. Ihr wird deutlich gemacht, dass dies so nicht mehr zu schaffen ist – der Preis der Anpassung wäre die Aufgabe ihrer kritischen Haltung der Welt gegenüber.
Zu diesen klaren und eindeutigen politischen Bekenntnissen gehört auch die Darstellung dessen, was man vielleicht als romantische Alternative bezeichnen kann.
Die Erzählstruktur des Films ist zirkulär: Er beginnt mit dem Ende und endet mit dem Anfang.
Tatjana Turanskyj
„Diskurs und filmische Emotion sind doch kein Widerspruch“
Im Zentrum des Films stehen eine Frau und eine Stadt. Er verschränkt auf vielfältige Weise weibliche Biografie und urbane Topografie, ist sozusagen ein Frauen-Berlin-Film. Wie ist die Idee zu dieser Konstellation entstanden?
Anfangs wollte ich einen Film über eine Frau machen, die durch Berlin driftet und die Veränderung der Stadt aufspürt. Dann habe ich mich für eine arbeitslose Architektin entschieden. Eine Frau, die unterwegs ist, eine Drifterin, die die Stadt und ihre Veränderung überprüft und dabei eine Architekturrecherche macht, um „tätig“ zu sein. Eine wichtige Frage war, wie künstlich diese Frauenfigur bzw. der Film sein darf.
Es war mir von Anfang an klar, dass ich mit dem ultraneuen Berlin-Bild arbeiten muss. Ich wollte nicht Berlin als Kulisse abbilden, sondern zeigen, wie in Berlin in den letzten zehn Jahren aufgeräumt wurde und vieles, was die Stadt ausmacht – ausgemacht hat, jedenfalls für mich – zerstört bzw. abgerissen wurde und wird. Diese Zerstörungen, die durch eine konservative Deutschlandlobby vorangetrieben werden, wollte ich mit meinem Film zur Debatte stellen. Es ist ein Berlin-Film geworden, in dem man Berlin nicht immer wiedererkennt, weil die Stadt in manchen Szenen so aussieht wie ein Modell. Das Hässliche muss abgebildet werden.
Das Bild der Stadt wird in Ihrem Film prominent verhandelt, auf der Grundlage aktueller Stadttheorie-Diskurse. Wie würden Sie die Bedeutung der Architekturen Berlins (Humboldt-Forum, Townhäuser, Finanzministerium u. a.) für Ihren Film beschreiben?
Es ist interessant, dass Sie das Finanzministerium erwähnen. Es ist ein Beispiel dafür, wie in Berlin mit Geschichte umgegangen wird. Signifikante Orte werden übernommen, umbenannt und neu besetzt. Andere Orte wie ein Schloss werden wieder aufgebaut, da wird künstlich Bedeutung geschaffen, ein Palast dagegen wird abgerissen. Oder nehmen Sie die Townhäuser am Werderschen Markt: Da wird wie im 19. Jahrhundert parzelliert und eine Art Fernsehsoapkulisse gebaut. Aber diese neuen Architekturen und Gebäude sind der öffentliche Raum und eine wundervolle Filmkulisse, denn sie repräsentieren den „Zeitgeist“.
Wenn Sie so wollen, sind diese Architekturen der in Stein gehauene Antagonist meiner Heldin. Und gegen den kämpft sie wie Don Quichotte. Es ist also ein aussichtsloser Kampf. Aber sie ist nicht naiv: Sie weiß genau, dass auch sie sofort Townhäuser bauen würde, wenn sie einen Job in einem Architekturbüro hätte, das eben Townhäuser baut. Das ist das Dilemma unserer Gegenwart.
Ihre Heldin, eine arbeitslose Architektin, absolviert im Laufe des Films bravourös eine veritable Tour de Force entlang zahlreicher Stationen. Wie ist diese Wegführung entstanden und was hatten Sie dabei im Sinn?
Von Anfang wollte ich drei Ebenen in meinem Film verknüpfen. Erstens eine narrative Ebene, also die Geschichte meiner Heldin Greta, zweitens eine feministische Kommentarebene, die ursprünglich ausschließlich an den Internetblogger „Kluge“ geknüpft war, und drittens eine dokumentarische Ebene. Im Laufe der Arbeit an Drehbuch und Film habe ich immer wieder mit der sinnvollen Verknüpfung der Ebenen gekämpft.
Dazu kam der Widerspruch zwischen einer stringenten Absturzdramaturgie und einem lakonischen Drift durch Berlin mit „echten, authentischen“ Zufallsbegegnungen in der Stadt der Frauen. Meine fiktive Heldin sollte zum Beispiel einen Parteitag oder die Preisverleihung vom „Bund deutscher Unternehmerinnen“, also ziemlich skurrile Veranstaltungen besuchen.
Mein Budget hat mich dann glücklicherweise zur Konzentration gezwungen – das heißt, zunächst die Stationen abzuarbeiten, die mir notwendig erschienen, um die Situation, in der sich die Heldin befindet, angemessen zu verorten: Ihre soziale Situation, ihre private Situation und ihre gesellschaftliche Situation als Arbeitslose.
Möglicherweise ist aber auch die Fiktion des Dokumentarischen – also die Vorstellung einer irgendwie gearteten „Realität“ – viel mehr meine Sache.
Ihr Film zeichnet präzise ein Zeit- und Gesellschaftsbild, ohne mit den Konventionen des sozialen Realismus zu arbeiten. Im Gegenteil: Es gibt regelrechte Performances, anti-illusionistische Auftritte. Auch Sprache und Sprechweise der Figuren sind häufig betont unauthentisch: Floskeln und Zitate, bei denen die Anführungszeichen sozusagen mitgesprochen werden. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Danke für das Kompliment, aber ich glaube eher, dass ich meine persönliche, subjektive Idee eines Zeit- und Gesellschaftsbildes zeichne. Mir fällt auf, dass immer mehr Menschen „man“ sagen, wenn sie über sich sprechen, sich also von sich selbst und ihrem Gefühl abspalten. Dazu kommt, dass im Job das Wort "unprofessionell" meistens dann benutzt wird, wenn jemand sich zu emotional äußert. Das ist mir auch schon passiert. Das wollte ich abbilden – die Normierung der Sprache als „Zeichen von Professionalität“.
Film wird oft auf den reinen Inhalt, die Story reduziert. Die Geschichte meines Films ist ja nun denkbar simpel. Frau, 40 Jahre, wird arbeitslos, bekommt Probleme. Da ist doch die Form interessant. Außerdem interessiert mich der postdramatische Diskurs, die Sprengung der Narration, Brüche, die Aufhebung durch den Kommentar. Das wird häufig verwechselt mit Unemotionalität, was natürlich nicht der Fall ist. Ein Film kann trotz Kommentaren und Selbstreferenzialität sehr wohl emotional sein. Diskurs und filmische Emotion sind doch kein Widerspruch. Dafür gibt es viele Beispiele.
Welche Referenzen waren für Sie wichtig bei der Arbeit an Ihrem Film?
Da gibt es viele Dinge. Ich habe früher mit einem Kollektiv Filme gemacht. Davon musste ich mich emanzipieren, aber auch überlegen, was ich von unserer Arbeitsweise übernehmen wollte, was sich bewährt hat. Außerdem habe ich viele Filme angeschaut, in deren Zentrum eine Hauptfigur steht. Die habe ich unter dem Aspekt analysiert, wie viel Persönlichkeit und Individualität die anderen Frauenfiguren brauchen. Für die Erarbeitung der Filmbilder habe ich dann meine Vogue-Sammlung auseinandergeschnitten, ein Moodbook gebastelt und fast alle Szenen mit Modefotos bebildert. Die Posen der Darstellerinnen, die Make-up-Session, die Callcentermädchen – alles aus der Vogue. Es gibt zum Beispiel eine Fotostrecke mit Businessfrauen in der Wüste. Die hat mich sehr inspiriert. Außerdem interessiert mich der Western bzw. die Bilder, die der Western hervorgebracht hat. Die Einsamkeit des Helden gegen den Rest der Welt. Das ist so ein Motiv, was mir für die Repräsentation von Frauen sehr interessant erscheint und sich dafür gut reloaden lässt.
Der Film versammelt und kommentiert ja verschiedene zeitgenössische (Selbst-)Entwürfe und Typen von Frauen. Mit der sogenannten „Frauenbild-Thematik“ haben sich unter anderem die feministischen Filmemacherinnen der 1970er und 1980er Jahre intensiv auseinandergesetzt – was hat Sie dazu veranlasst, jetzt auf diesem Terrain tätig zu werden?
Die „Frauenbild-Thematik“ war, ist und bleibt wichtig. Heutzutage gibt es ja eine Vereinnahmung verschiedener vulgarisierter feministischer Topics in populären Serien und Filmen, die auf ein weibliches Publikum abzielen, aber keineswegs politisch oder feministisch sind. Ich wollte mit meinem Film auf gar keinen Fall diese Art von Frauenbildern bedienen. Im Gegenteil: Meine Frauenfiguren sind keine Vorbilder. So gesehen knüpfe ich an die Tradition des feministischen Films an.
Der Motor des Films, seine Triebfeder, ist der Zustand akuter Arbeitslosigkeit und deren Auswirkungen auf Selbstbild und Selbstbewusstsein. Wie wichtig war Ihnen diese gesellschaftspolitische Dimension des Films?
Die Situation von sogenannten „modernen“ Frauen in der heutigen Dienstleistungsgesellschaft ist zentral für meinen Film. Obwohl Frauen in unserer Gesellschaft etwa 25 Prozent weniger verdienen, gelten sie als die „Gewinnerinnen“ der gegenwärtigen Krise. Warum? Weil die meisten von ihnen als flexible Dienstleisterinnen in Niedriglohnsektoren arbeiten. Das ist doch zynisch. Meine Hauptfigur dagegen kommt aus einer männlich dominierten Branche, einem Hochlohnsektor, und ist nicht bereit, sich diesem Dienstleistungsmodell anzupassen, sprich: in unserer gegenwärtigen Gesellschaft zu funktionieren. Gleichzeitig stellt sie ihr eigenes Abhängigkeitsverhältnis zum Themenkomplex „Arbeit, Status und Geld“ überhaupt nicht infrage. Und genau diese Differenz interessiert mich. Außerdem wollte ich das „Prekär“-Werden von Biografien durch unsichere Lebens- und Arbeitsverhältnisse darstellen, was typisch für Berlin und unsere Zeit ist.
Ihr Film ist von der Tonlage her seiner Protagonistin nicht unähnlich: witzig, frech, kämpferisch, eigensinnig und auch todtraurig. Wie ist der Auszug aus Hölderlins "Hyperion" in diesem Zusammenhang zu sehen?
Ich habe nach einem Zitat für die letzte Begegnung gesucht. Hölderlin ist mir über den Weg gelaufen, das war eher ein Zufall. Seine Sprache hat mich berührt, und das Zitat bringt eine Fremdheit in den Film, einen Trost aus einer anderen Zeit.
Interview: Birgit Kohler Berlin, Januar 2010

Details

  • Länge

    97 min
  • Land

    Deutschland
  • Vorführungsjahr

    2010
  • Herstellungsjahr

    2010
  • Regie

    Tatjana Turanskyj
  • Mitwirkende

    Mira Partecke, Katharina Bellena, Laura Tonke, Sven Seeger, Torsten Haase, Fabio Pink, Michaela Benn, Ilya Papatheodorou, Thorsten Heidel, Andina Weiler, Angelika Sautter, Anna Schmidt, Ninoschka Schlothauer, Franziska Dick, Bastian Trost, Saskia Draxler, Chunchun Qian, Aizhen Xu, Weihua Wang, Mattis Hausig, Roman Weiler, Horst Markgraf, Sean Patten
  • Produktionsfirma

    Turanskyj & Ahlrichs GbR
  • Berlinale Sektion

    Forum
  • Berlinale Kategorie

    Spielfilm

Biografie Tatjana Turanskyj

Tatjana Turanskyj wurde am 27. Juli 1966 in Hannover geboren. Sie studierte Literatur- und Theaterwissenschaft und Soziologie in Frankfurt am Main und wirkte als Darstellerin in Inszenierungen von Einar Schleef am Schauspiel Frankfurt und am Schillertheater Berlin mit. Seit 1998 arbeitet Tatjana Turanskyj im Video-, Film- und Performancebereich. Eine flexible Frau ist ihr erster Spielfilm.